Schmerzhafte Erfahrungen reflektieren und etwas Kraftvolles daraus gestalten

25. Mai 2023

Am Mittwoch, 10. Mai fand der letzte von drei Talks in unserer Reihe „Engagiert für Vielfalt in Ostdeutschland“ statt. Dieses Mal diskutierten wir mit Initiativen und Einzelpersonen über postmigrantisches Jugendengagement abseits der Metropolen in Ostdeutschland. Organisiert wurde der Talk durch unser Projekt JUGENDSTIL*.

Mit dabei waren dieses Mal gleich vier Praxisbeispiele:

Eric Noel Mbiakeu, Leiter des Projekts Theatre Change

 

Eric Noel Mbiakeu lebt in Brandenburg an der Havel und leitet dort das Projekt Theatre Change, das Missstände in Unterkünften für Geflüchtete durch Methoden des Theaters kritisiert. Außerdem ist er im Vorstand des Vereins Open Dreams Brandenburg e.V., der Empowerment-Arbeit für Geflüchtete und BiPOC macht.

Claudia Tuyết Scheffel, freischaffende Filmemacherin und Autorin

 

 

Claudia Tuyết Scheffel ist freischaffende Filmemacherin und Autorin. Sie lebt in Hamburg, ist aber im Erzgebirge aufgewachsen. Zur Zeit arbeitet sie am Spielfilm „Lonig und Havendel“, der in Annaberg-Buchholz gedreht wurde. Es handelt sich um ein Märchen, das die Gegenseitigkeit von Humor und Frust in der deutsch-asiatischen Diaspora thematisiert.

 

Emilia und Safi, Gründer der Initiative „Wir wollen reden!“

Safi und Emilia haben die Initiative „Wir wollen reden!“ gegründet. Das Projekt möchte Geflüchtete ermutigen, über ihre Erfahrungen in Thüringer Unterkünften zu sprechen. Safi kam 2015 als Geflüchteter aus Afghanistan in die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, wo alle Geflüchteten in Thüringen zunächst untergebracht werden. Seine Erfahrungen dort seien so schlimm gewesen, dass er gemeinsam mit seiner Mitbewohnerin aus Jena eine Möglichkeit für Geflüchtete schaffen wollte, sich darüber auszutauschen und auch Thüringer*innen außerhalb der Lager darüber zu informieren, unter welchen Umständen Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe leben müssen.

 

Monique Toaspern, Leiterin des Projekts „Vereinzelung entgegenwirken, Schwarzes Aufwachsen im ländlichen Raum“

Raja Goltz, Leiterin des Projekts „Vereinzelung entgegenwirken, Schwarzes Aufwachsen im ländlichen Raum“

Raja Goltz und Monique Toaspern leiten das Projekt „Vereinzelung entgegenwirken, Schwarzes Aufwachsen im ländlichen Raum“ in Eberswalde. Sie haben es im Rahmen ihres Masters in Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin konzipiert, führen es aber jetzt als ehrenamtliche Impulsgeberinnen weiter. Die Idee des Projekts ist ein Bildungsangebot für Eltern Schwarzer Kinder und Jugendlicher sowie Unterstützung bei der Communitybildung.

Herausforderungen im ländlichen Raum Ostdeutschlands

Zu den großen Herausforderungen beim Engagement in ländlichen Gebieten gehört die Zugänglichkeit. Es sei schwer, Vertrauen zu erlangen, vor allem wenn man selbst nicht vor Ort lebe. Raja und Monique, die aus Berlin bewusst in der Kleinstadt Eberswalde wirken wollten, empfanden es als Hürde, zu verstehen, wie Vernetzungsarbeit dort funktioniert. Ihre erste Idee, Flyer aufzuhängen, um Menschen zu erreichen, funktionierte nicht. Besser gelang es, als sie Kontakt mit dem örtlichen afrikanischen Kulturverein, Palanca e.V., aufnahmen, der in Eberswalde gut vernetzt ist. Auch über lokale Telegram-Kanäle habe der Zugang inzwischen funktioniert.

Auch Safi und Emilia haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Als eine aus Erfurt organisierte Solidaritätsdemo vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl stattfand, gingen die Bewohner*innen der Einrichtung schnell an dieser vorbei. Safi erklärte, dass die Geflüchteten nicht einschätzen konnten, welchem politischen Lager die Demonstration zuzuordnen war, da sie ausschließlich auf Deutsch stattfand. Daher ging in dem Fall der Aktivismus an den Betroffenen vorbei.

Wie tief stecken Menschen in bestimmten Diskursen und sind bereit sich dafür zu öffnen?

Eine wichtige Erkenntnis sei ein Umdenken in der Kommunikation mit Personen der Mehrheitsgesellschaft, so Claudia. Sie bemerkte, dass man „sensibler mit dem Wort „Rassismus“ umgehen muss, wenn man an eine Personengruppe herantritt, die mit dem Konzept noch nicht so vertraut ist.“ Dabei habe es inhaltlich keine Ablehnung gegeben, aber unter dem Begriff sei etwas anderes verstanden worden. Daher habe sie dann andere Begrifflichkeiten verwendet. Auch Monique und Raja hatten diesen Begriff in ihrem Flyer reduziert, um Vorbehalte zu vermeiden und nicht nur die Menschen zu erreichen, die sich damit schon viel beschäftigt haben.

Eric berichtete von weiteren Schwierigkeiten. Für seine Initiative war es anfangs schwer, Entscheider*innen zu treffen, weil sie als lose Vereinigung nicht ernst genommen wurden. Deshalb entschieden sie sich, einen Verein zu gründen. Auch die Suche nach Geldgeber*innen sei für Migrant*innen-Organisationen in Ostdeutschland besonders schwer.

Claudia, die sich für die Produktion ihres Films im Erzgebirge entschieden hatte, bemerkte, dass die Förderlandschaft dort nicht so vielfältig sei wie in großen Städten. Dennoch habe der Zugang über die Bürgermeistereien dann erstaunlich gut funktioniert: Sie erhielt von mehreren kleinen Städten im Erzgebirge Förderbeträge von 500 bis 1000€ und viel Zuspruch für ihr Projekt. „Wenn man es angeht, dann findet man auch Wege.“, so Claudia.

 

Vereinzelung entgegenwirken und offen über Rassismus sprechen

Vor allem fehlt es laut Eric an Vernetzung und Solidarität untereinander. „Es gibt viele Initiativen im Osten, aber sie tun sich nicht zusammen.“ Typisch für BiPOC im ländlichen Raum ist laut Monique das Gefühl von Isolation und Vereinzelung. Hier gebe es z.B. keine großen Schwarzen Communities. Viele zögen schnell wieder weg. Darüber hinaus hätten migrantisierte Menschen im Osten Deutschlands besonders in der Nachwendezeit prägende Erfahrungen gemacht. Die Gewalt- und Rassismuserfahrungen in dieser Zeit seien für viele identitätsstiftend gewesen und würden auch an die nächste Generation weitergegeben.

Das Thema Rassismus in ganz unterschiedlichen Ausprägungen beschäftigte alle Impulsgeber*innen. Eric betonte, dass viele Vereine Angst davor hätten, offen über das Thema zu sprechen. Dabei helfe genau dieses Darüber-Sprechen dabei, die Isolation zu beenden, die viele Menschen mit Migrationsgeschichte im ländlichen Ostdeutschland empfänden. So konnten sich die Teilnehmenden des Online-Talks auch gegenseitig stärken und Tipps geben, wie man mit täglichem Rassismus umgehen kann.

Raja hielt fest: „Für uns ist es wichtig, eigene Erfahrungen als Kompetenzen anzuerkennen.“ Sie und Monique seien beide auf dem Land in teils nur weißen Settings aufgewachsen. In der Arbeit ihrer Initiative möchten sie „schmerzhafte Erfahrungen reflektieren und etwas Kraftvolles daraus gestalten.“

Eric hat beim Umgang mit Rassismus sein politisches Engagement geholfen. Er geht mittlerweile mit seinen Forderungen auf die Straße, hat die weißen Mitspieler seiner Rugby-Mannschaft, in der er häufig Rassismus erlebte, zu einem Theaterstück eingeladen und konnte mit seinem Verein den Bürgermeister zum Gespräch treffen. Sein Fazit: „Keiner macht das für uns, wenn wir es selbst nicht machen.“

Die Veranstaltung wurde moderiert von Việt Đức Phạm.

 

Text: Sophie Leins
Grafik: Lena Friedrich via Canva