Der erste Online-Talk unserer Reihe „Engagiert für Vielfalt in Ostdeutschland“ fand am 12. April zum Thema „Engagement für Geflüchtete in ländlichen Regionen“ statt. Eingeladen waren Hanna Heiderich von der Ukrainehilfe-Initiative im Dorf Oechsen im Wartburgkreis und Hartmut Fuchs von der Initiative „Willkommen in Döbeln“ beim Treibhaus e.V.. Die beiden berichteten von ihren Erfahrungen im ehren- und hauptamtlichen Engagement für Geflüchtete.
Hanna Heiderich konnte dabei Einblick in die spontan gegründete Unterstützungsinitiative geben, die die Einwohner*innen ihres Heimatortes Anfang letzten Jahres nach Beginn des Krieges in der Ukraine auf die Beine stellten. Oechsen hat nur ca. 600 Einwohner*innen. Hier half es, dass jeder jeden kennt und so schnell ein gutes Netzwerk aufgebaut werden konnte. In einer Whatsapp-Gruppe wurde ein Spendenaufruf gestartet und Jugendliche gingen von Tür und Tür und fragten bei Personen, von denen sie wussten, dass freier Wohnraum vorhanden war, ob diese Menschen aus der Ukraine unterbringen könnten.
Einfach nur anpacken und loslegen
Auch die Akzeptanz im Dorf für die Neuangekommenen sei im Allgemeinen gut. Hier sei es wichtig gewesen, im Umfeld auch die Erfolge zu kommunizieren, die erzielt wurden. So haben mittlerweile alle, denen es möglich ist zu arbeiten, auch einen Job gefunden. Auch sei es den Ehrenamtlichen gelungen, ein Dreivierteljahr lang einen Deutschkurs auf die Beine zu stellen.
In ihrem Dorf habe sich niemand getraut, sich offen rassistisch zu äußern. Dennoch gebe es natürlich Kritiker. Es sei anstrengend auch bei privaten Anlässen wie Feiern, bei denen es eigentlich ums Spaßhaben ginge, über das Thema zu diskutieren und Menschen überzeugen zu müssen.
Die größte Hürde sei für sie in der ländlichen Region die fehlende Infrastruktur, z.B. Angebote wie Integrationskurse oder kulturelle Angebote. Dies mache es für die Geflüchteten schwerer, sich vor Ort in den Alltag zu integrieren. Auch seien die bürokratischen Barrieren für sie als kleine Initiative von der Basis oft nicht zu überwinden. „In den Dörfern unter 1000 Einwohnern gilt es einfach nur anzupacken und loszulegen“, so Hanna.
2022 wirkte wie ein Déja-vu von 2015
Hartmut Fuchs berichtete von der Arbeit seiner Initiative, die bereits im Kontext der Fluchtmigration von 2015 in Döbeln und im Landkreis Mittelsachsen aktiv geworden war. Ihm sei die Situation Anfang 2022 wie ein Déjà-vu von 2015 vorgekommen. Viele der Ehrenamtlichen von damals hätten schnell wieder aktiviert werden können. Aber auch einige der Probleme von damals seien wieder aufgetaucht. Etwa, dass die hauptamtlichen Strukturen überfordert und auf die spontane Hilfsbereitschaft der Ehrenamtlichen angewiesen gewesen seien. Oft herrsche aber seitens des Hauptamts eine ablehnende Haltung mit dem Vorwurf die „chaotischen Ehrenamtlichen bringen alles durcheinander.“ Seine Aufgabe als hauptamtlicher Koordinator war es daher auch, Haupt- und Ehrenamtliche zusammenzubringen, da die Behörden für Ehrenamtliche häufig gar nicht erreichbar gewesen seien. Er wünscht sich nach dieser Erfahrung mehr Wertschätzung für die Ehrenamtlichen, deren Einsatz unerlässlich sei.
Hanna wünscht sich für die Zukunft Risikomanagementpläne seitens der Behörden. Außerdem sei im Bereich Digitalisierung und bei transparenter, flexibler Kommunikation noch Luft nach oben.
Nach dem Interview mit den beiden Gästen ging es in Austauschrunden in Break-out-Rooms. Die Themen richteten sich nach den Interessen der Teilnehmenden. In je einem Raum bot sich die Möglichkeit, Rückfragen an die Gäste Hanna und Hartmut zu stellen.
Die beste Öffentlichkeitsarbeit ist die persönliche Ansprache
In einem dritten Raum wurde über Probleme mit Skeptikern, Ablehnung und Anfeindungen diskutiert. Nicht nur die Anfeindung von Rechts machte den Teilnehmenden zu schaffen. Es sei auch Geflüchteten, die schon länger in Deutschland leben, oft nur schwer zu vermitteln, warum die Bedingungen für ukrainische Geflüchtete an vielen Stellen weniger streng sind. Ein Tipp war, darauf zu verweisen, dass auch die Bürokratie aus den negativen Erfahrungen der letzten Jahre gelernt habe.
Im Raum 4 ging es um Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und den Austausch von Geflüchteten und Anwohner*innen. Die Teilnehmenden hielten fest:
- Die beste Öffentlichkeitsarbeit ist persönliche Ansprache der Gruppen, z.B. in Kursen oder auch informell untereinander
- Verschiedene Zielgruppen konsumieren unterschiedliche Kanäle (Zeitung, soziale Netzwerke, Anzeiger etc.). Daher lohnt sich eine möglichst breite Streuung.
- Als niederschwelliges Begegnungsformat „zum Einstieg“ hat sich aus Sicht der Teilnehmenden eine internationale Kochaktion bewährt.
Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, sich mit einer digitalen Suche-Biete-Wand auszutauschen, Angebote und Erfahrungen zu teilen und so auch im Nachgang in Kontakt zu bleiben. Moderiert wurde der Online Talk durch Việt Đức Phạm, der selbst im ländlichen Sachsen aufgewachsen ist.
Text: Sophie Leins
Grafiken: Lena Friedrich via Canva