„Engagement zur Chefinnensache machen“ – Fachgespräch „Engagementförderung in MV“ am 15. November 2021

20. Dezember 2021

Am 15. November konnten wir im Rahmen der Gesprächsreihe Bürgergesellschaft 2025 unser zweites digitales länderspezifisches Fachgespräch in diesem Jahr durchführen. Gemeinsam mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und der NORDMETALL-Stiftung widmeten wir uns der Engagement- und Demokratieförderung in Mecklenburg-Vorpommern. Während in Schwerin zeitgleich die neue Landesregierung vereidigt wurde, erarbeiteten die Teilnehmenden der Veranstaltung wertvolle Impulse für die folgende Legislaturperiode.

Teil 1 – Vorstellung erster Ergebnisse der Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“

Nach einer Begrüßung durch Olaf Ebert und Staatssekretär Nikolaus Voss stellten Dr. Thomas Gensicke und Dr. Holger Krimmer erste Befunde der Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“ für das nordöstlichste Bundesland vor. Krimmer präsentierte einige landesspezifische Daten. So zeigen Erkenntnisse aus dem Freiwilligensurvey beispielsweise, dass der Anteil der Menschen, die den Zugang zum Engagement über engagementfördernde Einrichtungen finden, in MV im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern am geringsten ist.

Dr. Holger Krimmer

Dr. Holger Krimmer, ZiviZ gGmbH

Dr. Thomas Gensicke, der die Infrastruktur zur Engagementförderung in MV schon durch Gutachten im Auftrag der Landesregierung analysierte, ging dann auf zentrale Akteur:innen im Bereich der Engagementförderung und aktuelle Herausforderungen im Land ein. Seine Erkenntnisse hatte er aus einer Dokumentenanalyse, mehreren Interviews mit Verantwortungsträger:innen sowie aus einem Expert:innen-Workshop mit Personen aus der Engagementpraxis im Land MV gewonnen. Als zentrale Akteur:innen der Engagementförderung identifizierte Gensicke die Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern sowie das Sozialministerium. Letzteres fördert landespezifische Einrichtungen wie die MitMachZentralen (MMZ) sowie die EhrenamtMessen, die Ehrenamtkoordinator:innen und die Ehrenamtscard.

Dr. Thomas Gensicke

Dr. Thomas Gensicke, Gensicke Sozialforschung

Als Herausforderungen benannte Gensicke die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses zu den zentralen Aufgaben der vom Land geförderten Strukturen (z.B. der Landes-Ehrenamtsstiftung und der MMZ), sowie eine bessere Vernetzung und Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Akteur:innen und Infrastrukturen der Engagementförderung. Auch ein besserer Überblick über die bereits vorhandenen Strukturen und der verschiedenen Förderungen aus Bund, Land und Kommune sei nötig. So könnten bestenfalls Parallelstrukturen und ein Wahrnehmungs-Gap zwischen zentralen und dezentralen Strukturen vermieden werden. Hauptziel sei eine flächendeckende, stabile und vernetzte Infrastruktur, die das ehrenamtliche Engagement kontinuierlich fördert. Dafür sei aber auch eine nachhaltige Finanzierung von Nöten.

Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden darüber, wie das Engagement im Land weiter gestärkt werden könne. Der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Stefan Bischoff schlug eine Stabsstelle in der Staatskanzlei mit Querschnittsbefugnissen vor, die den Überblick über das Thema gewährleisten könne. „Frau Ministerin Schwesig wäre sicherlich gut beraten, wenn sie Engagementförderung in allen Facetten zur Chefinnensache macht und bei sich in der Staatskanzlei anbindet.“ Entsprechend hilfreich wären seiner Meinung nach auch Stabsstellen in den kreisfreien Städten und den Landkreisen – vernetzt durch ein durch die Ehrenamtsstiftung koordiniertes Landesnetzwerk.

Screenshot Teilnehmende Fachgespräch MV

Screenshot Teilnehmende Fachgespräch MV

Lars Pickardt vom Verband für Behinderten- und Rehabilitationssport M-V e.V. schlug eine:n eigene:n ressortübergreifende „Staatssekretär:in für Sport und Ehrenamt“, direkt angesiedelt bei der Ministerpräsidentin vor, ähnlich wie Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. Thomas Hetzel von „Lernen durch Engagement Mecklenburg-Vorpommern“ verwies auf die anderen Strukturen und Ausstattungen westdeutscher Bundesländer. Er schlug vor, zwischen Politik, Verwaltungen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ehrlich zu diskutieren, was für eine demokratische Bürgergesellschaft gebraucht werde und was dies wirklich koste.

Teil 2 – Initiativen und Netzwerke zur Engagementförderung im Dialog

Nach einer Pause konnten die Teilnehmenden sich dann zwischen drei Workshops zum Austausch entscheiden. Im Workshop 1 „Engagementfördernde Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern“, moderiert durch Olaf Ebert von der Stiftung Bürger für Bürger, stellte Jens Herzog, Ehrenamtskoordinator DRK-Landesverband M-V e. V., seine Arbeit vor. Er bemängelte, dass die Zusammenarbeit der engagementfördernden Infrastrukturen nur schlecht funktioniere, es keine Koordination der Vernetzung und manchmal auch eine Konkurrenzsituation gebe. Seiner Meinung nach braucht es überregional und regional verankerte sowie gut qualifizierte, stabile Strukturen der Engagementförderung, z.B. gesetzlich festgeschrieben als Pflichtaufgabe der Kommunen.

Workshop 2, moderiert durch Elisabeth Schönrock (BBE), widmete sich dem Programm „Engagierte Stadt“ in Mecklenburg- Vorpommern. Das Programm „Engagierte Stadt“ unterstützt den Aufbau bleibender Engagementlandschaften in Städten und Gemeinden in Deutschland und fördert Kooperationen statt Projekte. In den vergangenen Jahren sind dadurch neue Netzwerke vor Ort entstanden, beispielsweise in Ribnitz-Damgarten Die Koordinatorin Juliane Hecht-Pautzke berichtete in ihrem Input über den beispielgebenden Entwicklungsprozess und die Einbindung aller relevanten Akteur:innen. Nach der Eröffnung eines Stadteilzentrums haben vielfältige Gruppen und Engagierte dies als Treffpunkt genutzt und zu einem lebendigen Engagementort entwickelt. So konnten zuletzt auch Wirtschaftsunternehmen eingebunden und für den Wert von Engagementförderung vor Ort sensibilisiert werden.

Ganz frisch dabei und schon voll eingetaucht ist Rostock, das seit 2021 Engagierte Stadt ist. Anne Hammer, Koordinatorin der Engagierten Stadt Rostock gab Einblicke in ihre Arbeit. Ihr Ziel: Für Engagement werben, vorhandenes sichtbar machen und würdigen, Synergien zwischen den verschiedenen Akteur:innen stiften und ein so gutes Informationsmanagement entwickeln, dass jede:r Rostocker:in unkompliziert zu ihrem/seinem Herzensengagement findet.

In Workshop 3, moderiert durch Annalena Jonetzko (NORDMETALL-Stiftung) ging es um „Regionale Vernetzung für eine Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft“. Die zentrale Förderung des Ehrenamtes in Mecklenburg-Vorpommern bietet viele Chancen und Vorteile. Als Kehrseite der Medaille beschreiben die Engagierten selbst oft die geringe Anbindung und fehlende Ansprachemöglichkeiten vor Ort. Um Bedarfe zu bündeln sowie Wissen und Erfahrungen zusammenzutragen, hat die NORDMETALL-Stiftung 2021 das Projekt „Zusammenhalt durch Engagement in Mecklenburg-Vorpommern“ gestartet, das sich an Vereine und weitere Initiativen in MV richtet, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in ihrer Gemeinde und der nahen Umgebung durch Engagement stärken.

Über ihre persönliche Erfahrung berichtete Susanne Olbrich vom Verein zur Dorfentwicklung Pomellen e. V.. Pomellen liegt in direkter Grenznähe zu Polen und ist von einem starken Zuzug polnischer Bürger:innen geprägt. Um die „alten“ und „neuen“ Pomellener:innen in Kontakt zu bringen, baut Susanne Olbrich ehrenamtlich eine Begegnungsküche auf, die zu einem Ort des Kennenlernens werden soll. Sie beschreibt sich selbst als Neuling im Engagement und nannte die große Herausforderung, eine unterstützende Ansprechperson vor Ort zu finden, ebenso wie eine finanzielle und anpackende Unterstützung. Was die Engagierten sich wünschen, sind physische und digitale Räume für Begegnungen, aber vor allem Ansprechpersonen direkt bei den Ämtern.

Die vielen Engagierten im Land sind unentbehrlich für ein gutes Zusammenleben und deren Unterstützung ein wichtiger Beitrag der Zukunftsgestaltung in den Gemeinden. Diese sahen die Gesprächsteilnehmenden als Pflichtaufgabe der Ämter und plädierten: Seht die Menschen, die unsere Gesellschaft demokratisch gestalten möchten. Blickt nicht auf die Alphatiere, sondern auf die vielen Aktivist:innen im Land. Macht ihnen Mut und unterstützt sie in den Ämtern mit Beratung und Wertschätzung.

Teil 3 – Abschlussrunde „Empfehlungen zur Engagementförderung in Ostdeutschland“

Abschlussrunde

Abschlussrunde

Den Abschluss bildete eine Diskussionsrunde mit Claudia Ring, Referentin im Sozialministerium, Jan Holze, Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, Dr. Adriana Lettrari, Geschäftsführerin Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern, Kirsten Wagner, Geschäftsführerin der NORDMETALL-Stiftung und Heike Scholz, Beigeordnete im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Lilian Schwalb vom BBE.

Jan Holze zog aus der Studie den Schluss, dass die Landesregierung auf dem richtigen Weg sei, es aber noch nicht ausreiche. Zukünftig müssten Unterstützungsprogramme noch besser miteinander verschränkt werden, damit sie regional kleinteiliger und besser wirkten.

Claudia Ring zog aus den Befunden der Studie den Schluss, dass das Modell MMZ sich eigne, um als engagementfördernde Struktur in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zu wirken.
Kirsten Wagner hingegen betonte die fehlende Kooperation zwischen Strukturen: „Ob es nun die kommunale, die Kreisebene oder Landesebene ist: Ich würde mir wünschen, dass das Ganze noch mehr ineinandergreift.“ Die Rolle der NORDMETALL-Stiftung sieht sie darin, Türöffner zu sein, und auch die leiseren Stimmen miteinzubeziehen.

Dr. Adriana Lettrari hielt es für ein tolles Ergebnis der Veranstaltung, dass sie einen Überblick lieferte, welche Institutionen das Engagement in MV unterstützen. Die Frage, wer in MV dafür zuständig ist, die vielfältige Landschaft der Engagementförderung im Gleichklang zu kuratieren, hielt sie jedoch für unbeantwortet und wünschte sich eine Person mit einem starken Mandat, die die Akteur:innen im Land zusammenführt.

Olaf Ebert

Olaf Ebert, Stiftung Bürger für Bürger

Olaf Ebert sah dies abschließend als guten Ausgangspunkt dafür, dass sich das Land und die Zivilgesellschaft gemeinsam auf den Weg machten, eine Engagementstrategie wie derzeit in Sachsen-Anhalt zu erarbeiten und bot die Unterstützung der Stiftung Bürger für Bürger bei der Begleitung eines solchen Prozesses an.

Das Fachgespräch fand im Rahmen der Gesprächsreihe „Bürgergesellschaft 2025 – Engagementförderung in Ostdeutschland“ statt, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird. Organisiert wurde es in Kooperation mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und der NORDMETALL-Stiftung.

Text: Sophie Leins (Stiftung Bürger für Bürger) mit Beiträgen zu den Workshops von Elisabeth Schönrock (BBE) und Annalena Jonetzko (NORDMETALL-Stiftung)