Projekt „zeitlupe | Stadt.Geschichte & Erinnerung“

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Kurzinfo

Das Projekt „zeitlupe“ ermöglicht lebendiges Lernen von und eine selbstwirksame Auseinandersetzung mit der Geschichte der Nationalsozialismus durch analoge und digitale Bildungsformate und Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien. So werden vermeintlich „vergessene“ Orte durch innovative Bildungskonzepte, wie z.B. künstlerische Interventionen, erfahrbar gemacht.
Website: https://zeitlupe-nb.de/de

Inwiefern trägt das Projekt „zeitlupe | Stadt.Geschichte & Erinnerung“ zu einer lebendigen Demokratie bei?

Das RAA-Projekt „zeitlupe“ entstand als Reaktion auf das immer wieder beklagte abnehmende Interesse an der Geschichtsepoche rund um den Zweiten Weltkrieg sowie auf das Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Tendenzen in der Region. Mit einer partizipativen, Multiperspektivität und Intersektionalität betonenden Bildungsarbeit zu den  Themenkomplexen Nationalsozialismus und Diktaturerfahrung legt „zeitlupe“ Vorurteile und (historische) Rassismen anlassbezogen und sensibel offen, schafft Anlässe zum Austausch und Gesprächen und zielt darauf, nachhaltig Demokratie, Vielfalt und Selbstwirksamkeit förderndes Geschichtsbewusstsein bei den Teilnehmenden der „zeitlupe“-Veranstaltungen herauszubilden.

Das „zeitlupe“-Projekt funktioniert dabei auch als eine Art „Backbone“-Organisation, die Aktivitäten, beispielsweise durch spezifische Dienstleistungen, moderierend unterstützt. Immer ist der wichtigste Faktor für eine gelingende Kooperation der wertschätzende Umgang miteinander. So wurden beispielsweise Filmprojekte zu kolonialer Spurensuche in Neubrandenburg realisiert (in Kooperation mit dem Regionalmuseum und mit Young European Audience Development). Es folgten Graffiti-Workshops zu Meinungsfreiheit vs. Hate Speech, LandArt-Workshops zum Umgang mit Erinnerung (auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neubrandenburg-Waldbau), Film- und Interviewprojekt zum ehemaligen Konzentrationslager Rechlin 2020 (zusammen mit der RAAbatz Medienwerkstatt) sowie Workshops zum Thema „Vulnerable Kindheiten in der Region“ (zusammen mit der Hochschule Neubrandenburg).

Welche Rahmenbedingungen sind wichtig, damit Engagement und politische Beteiligung Demokratie stärken?

In der kritischen Auseinandersetzung mit überlagernden Schichten und Konkurrenzen des Erinnerns arbeiten wir zu den folgenden Fragen:

  • Wie können Geschichte und Erinnerung für gegenwärtige Herausforderungen als relevant sichtbar werden?
  • Welche Maßnahmen von „Empowerment“ sind dabei erfolgsversprechend angesichts gesellschaftlicher Kräfte, die Schwarz-Weiß-Denken, Konsum, Rechtspopulismus und Fake-News befördern wollen?
  • Wie können regionalgeschichtliche Spurensuche und demokratiefördernde Strukturen nachhaltig für lebendige Aushandlungsprozesse von Erinnerung weiterentwickelt werden?

Einer der vielversprechenden Ansätze, um in unserem Projekt gleichermaßen Unmittelbarkeit wie Nachhaltigkeit zu erreichen, ist der unmittelbare lokale Zugang zur Geschichte, der bei Jugendlichen, aber auch für die sie begleitenden Erwachsenen stets große Aufmerksamkeit generiert. Denn lokale Geschichte und Spurensuche vor Ort können starke Anreize für Menschen jedes Alters geben, sich eigenständig in der unmittelbaren Lebensumgebung zu orientieren und zu einer Stärkung sowie der zunehmenden Selbstwirksamkeit bei den Teilnehmenden beitragen. „zeitlupe“ versucht über die historische Auseinandersetzung Anreize für individuell wie auch kollektiv positive Selbsterfahrungen zu schaffen und stärkt – so hoffen wir – letztlich auch das demokratische Bewusstsein sowie das weitere Engagement in den Zielgruppen.

Was muss sich zukünftig ändern, damit Engagement und Beteiligung für eine starke Demokratie noch besser möglich sind?

Obwohl (oder gerade weil) „zeitlupe“, unter dem Dach der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) MV e.V., über hervorragende lokale Partner in Schule und Verwaltung im städtischen Kontext verfügt , kann es sinnvoll sein, insbesondere dem ländlichen Raum jenseits der Ober- und Mittelzentren deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken als bisher. Dort gestaltet sich die Herausforderung, über historisch-politische Bildungsprojekte Anreize für eine stärkere Beteiligung und eine bessere Identifikation mit dem Gemeinwesen zu schaffen, deutlich schwieriger. Angesichts weiter Wege und – damit verbunden – der größeren Relevanz benötigter persönlicher Kontakte benötigt das Engagement zur Stärkung von Demokratiebewusstsein und gesellschaftlicher Identifikation mehr Zeit. Autoritäre Strukturen in Schulverwaltung und kommunaler Politik sind insbesondere im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns deutlich ausgeprägter, das Vertrauen in die Arbeit von außerschulischen Projekten oder demokratie- und teilhabefördernden Projekten um ein Vielfaches geringer als in den Städten. Wir empfehlen, diesen Räumen in der Demokratieförderung deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Soziale Brennpunkte wie in den Städten sind im ländlichen Raum seltener sichtbar. Die meist „urban“ gedachten Ansätze der Demokratie- und Bildungsförderung müssen gründlich überdacht und evtl. kritisch auf die Erreichbarkeit ihrer Ziele geprüft werden, wenn das demokratische Engagement in ländlichen Räumen nachhaltig und dauerhaft gefördert werden soll.

*Fotografie von Aufräumeinsatz mit Engagierten und Freiwilligen am 1. Oktober 2021 im ehemaligen KZ-Frauenlager Neubrandenburg (Waldbau). Freiwillige errichten gemeinsam mit der Künstlerin Imke Rust ein Namensdenkmal in Erinnerung an die KZ-Häftlinge. Der Errichtung gingen u.a. jahrelange Vorbereitungen und Namensrecherchen voraus. Am Aufräumtag waren mehr als 130 Personen beteiligt, darunter Schüler:innen, Ehrenamtler:innen, und Rentner:innen.
https://imkerust.com/land-art/2021-wer-waren-sie-gedenkinstallation/