„Einheitskonzepte zur Engagementförderung sind kaum hilfreich“

31. August 2021

Der Soziologe Stefan Bischoff erhebt im Rahmen der Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“ Zahlen zu Engagement fördernden Infrastruktureinrichtungen. Im Interview erklärt er, wie sich die Zahl der Einrichtungen in den letzten Jahren verändert hat und wie sich die ostdeutschen Länder unterscheiden.

Soziologe Stefan Bischoff

Stiftung Bürger für Bürger: Herr Bischoff, Sie waren für den Generali Engagementatlas 2015 mitver­antwortlich, der erstmals empirische Daten zu Anzahl, Profil, Ausstattung und Wirkung von Engage­ment unterstützenden Einrichtungen in Deutschland lieferte. Inwiefern knüpft Ihre Arbeit an der Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“ für die Stiftung Bürger für Bürger in Kooperation mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt daran an?

Bischoff: Für den Generali Engagementatlas 2015 (GEA 2015) wurde im Jahr 2013 unter Nutzung webbasierter Datenbanken und Archive sowie auf der Basis ergänzender Recherchen bei Dachver­bänden, Netzwerken und Arbeitsgemeinschaften eine umfassende Bestandsanalyse Engagement unterstützender Einrichtungen in Städten, Gemeinden und Kreisen in Deutschland durchgeführt. Rund 3.400 Engagement unterstützende Einrichtungen wurden damals bundesweit gezählt, darunter 663 Einrichtungen in den ostdeutschen Bundesländern. Eine differenzierte und vergleichende Auswertung der Daten nach Ost- und Westdeutschland lag damals nicht im Fokus der Berichterstattung. Die Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“ eröffnete in der ersten Projektphase 2020 gleich zwei Möglichkeiten. Erstens konnten die GEA 2015-Daten differenziert und vergleichend für Ost- und Westdeutschland ausgewertet werden. Zweitens erfolgte eine aktualisierte Fortschreibung und Ergänzung der Einrichtungsdaten für Ostdeutschland.

Stiftung Bürger für Bürger: Was sind die größten Unterschiede der im Rahmen der Studie 2020 erhobenen Zahlen im Vergleich zu den Zahlen von 2013 im Generali Engagementatlas?

Bischoff: Zunächst ist bemerkenswert, dass in den vergangenen sieben Jahren die Zahl Engage­ment unterstützender Ein­rich­tungen in Ostdeutschland um rund 8% auf 717 angewachsen ist. Die bedeutsamste Zunahme und Verbreitung in Städten und Landkreisen ist bei Soziokulturellen Zentren zu verzeichnen, die ihren Anteil an allen Engagement unterstützenden Einrichtungen auf 33% gesteigert haben. Wurden damals (2013) 184 soziokulturelle Zentren gezählt, sind es heute (2020) 238. Im Zeitraum relativ stabil geblieben ist die Zahl der Mehrgenerationenhäuser, Selbsthil­fekontaktstel­len, Mütterzentren und kommunalen Stabsstellen. Eine deutliche Zunahme ist hingegen bei den Bürgerstiftungen zu vermerken, die heute an 43 Stand­orten vertreten sind. Abgenommen hat die Zahl der Freiwilligenagenturen und Seniorenbüros in fast allen ostdeutschen Bundesländern. So sank die Zahl der Freiwilligenagenturen von 84 auf jetzt 71 Einrichtungen. Ledig­lich in Mecklen­burg-Vorpommern ist eine Zunahme festzustellen. Die Zahl der Seniorenbüros ging von 69 auf 56 zurück. Besonders betroffen waren Städte und Kreise in Thürin­gen.

Stiftung Bürger für Bürger: An welchen Stellen unterscheiden sich hier die ostdeutschen Bundeslän­der am deutlichsten voneinander?

Bischoff: Hinsichtlich der Zahl der Einrichtungen in ihrer Verbreitung in den Bundesländern werden deutliche Unterschiede sichtbar. Thüringen, das mit und 2 Mio. Einwohner:innen nur etwa halb so groß wie Sachsen mit rund 4 Mio. Einwohner:innen ist, nimmt im Vergleich der fünf Bundesländer bei der Anzahl der Einrichtungen eine Spitzenstellung ein. Dies trifft auch auf die Versorgungs­dichte gemessen an der Zahl der Einwohner pro Einrichtung und der Zahl der Einrichtungen pro 100.000 Einwohnern (im Landesdurchschnitt 6,57) zu. An zweiter Stelle folgt bezüglich der Zahl der Einrichtungen das Bun­desland Sachsen. Im Hinblick auf die Versorgungsdichte landet Sachsen jedoch mit unterdurch­schnittlichen 4,57 Einrichtungen pro 100.00 Einwohnern nur knapp vor Sachsen-Anhalt auf dem vierten Platz. Brandenburg liegt bei der Anzahl der Einrichtungen und der Versorgungsdichte auf dem dritten Platz. Dahinter folgt Mecklenburg-Vorpommern, das in den letzten sieben Jahren die deut­lichste Zunahme der Anzahl der Einrichtungen zu verzeichnen hat. Das Schlusslicht unter den Bun­desländern hinsichtlich der Zahl der Einrichtungen sowie hinsichtlich der Versorgungsdichte mit Inf­rastruktureinrichtungen der Engagementförderung bildet das Bundes­land Sachsen-Anhalt. Es weist mit 96 Einrichtungen die geringste Zahl auf und rangiert auch bei der Anzahl der Einrichtungen pro 100.000 Einwohnern mit 4,56 weit unter dem Durchschnitt für die ostdeutschen Bundesländer.

Stiftung Bürger für Bürger: Worin liegt Ihr Hauptaugenmerk in der zweiten Analysephase? Wo liegen blinde Flecken?

Bischoff: In der zweiten Projektphase werden basierend auf einem mehrstufigen Infrastrukturraster län­derspezifische Fortschreibungen und Ergänzungen vorgenommen. Der Fokus liegt auf bislang nicht in den Blick genommenen lokalen Koordinierungsstellen und Ansprechpartner:innen sowie Stabsstellen für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements in Städten und Landkreisen. Ferner richtet sich der Blick auf lokale, regionale und landesweite Zusammenschlüsse, Netzwerke und Arbeitsgemein­schaften der Engagementförderung. Weiterhin von Interesse sind Stabsstellen in Landesregierungen, aber auch Landesehrenamtsagenturen und landesspezifische Ehrenamtsportale im Internet. Nicht zuletzt sollen verbandsinterne Koordinierungs- und Stabsstellen für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement ermittelt werden.

Stiftung Bürger für Bürger: In der aktuellen Analysephase geht es auch darum, Handlungsempfeh­lungen zu formulieren. Was sind aus Ihrer Perspektive wirksame Instrumente zur Engagementförde­rung?

Bischoff: Bezogen auf eine nachhaltige Förderung der Engagementinfrastrukturen schließe ich mich Empfehlungen an, die vor fast zwanzig Jahren von der damaligen Enquete-Kommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements (2002) entwickelt wurden und in ähnlicher Weise auch Eingang in die Förderplädoyers des Generali Engagementatlas 2015 gefunden haben.

Danach wird übereinstimmend eine Abkehr von kurzfristigen Modellfinanzierungen gefordert. Eine effektive engagementfördernde Infrastruktur sollte sich auf die konkreten Erfordernisse sowie struk­turellen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Kommunen beziehen. Einheitskonzepte, nach denen in allen bundesdeutschen Kommunen in gleicher Weise eine erfolgreiche Politik der Engagementför­derung betrieben werden könnte, sind kaum hilfreich. Wichtig sind dabei Möglichkeiten der kommu­nalen Entscheidungsfindung und nicht Modelle, die „von oben übergestülpt“ werden. Wenn Modell­programme vom Bund oder von einzelnen Ländern aufgelegt werden, bedarf es einer föderal abge­stimmten und nachhaltigen Förderstrategie. Es gilt, wie im Generali Engagementatlas 2015 formu­liert, „das große Ganze im Blick zu behalten und auf einen sinnvollen Einrichtungsmix vor Ort zu set­zen. Grundlage für neue Förderstrukturen sind u.a. die haushaltsrechtliche Definition von Engage­mentförderung als kommu­nale Pflichtaufgabe sowie die Aufhebung des Kooperationsverbots zwi­schen Bund und Ländern.“

Stiftung Bürger für Bürger: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person: Stefan Bischoff (Soziologe M.A.) ist seit Anfang der 1990er-Jahre im Bereich der Engagementförderung forschend und beratend tätig. Er war u.a. mit zuständig für die Umsetzung der Modellprogramme „Seniorenbüros“, „Engagementförderung in Kommunen“ und „Erfahrungswissen für Initiativen“. Ferner hat er federführend den Generali Engagementatlas 2015 entwickelt. Seit 2018 ist er freiberuf­lich für den Verein Bonunsnorm e.V. als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.